Deutschland: Reform der Vermögensabschöpfung – Neue Spielregeln für Täter und Opfer im Strafverfahren

„Verbrechen lohnt sich nicht.“ Doch so einfach sieht die Realität nicht aus. Die bisherige Rechtslage stellte nicht nur hohe Hürden auf, wenn der Staat Straftätern die Gewinne aus ihren illegalen Geschäften abnehmen wollte. Auch für die Geschädigten war es bislang mühsam, ihr gestohlenes Eigentum oder erschwindeltes Geld zurückzuerlangen. Die Große Koalition hat nun kurz vor der Bundestagswahl ein Reformwerk durch das Parlament gebracht, das diesen Missständen begegnen soll: Das am 01.07.2017 in Kraft tretende „Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung“.

Neues für Täter
Was die Abschöpfung der Profite aus Straftaten angeht, erweitert das Gesetz das bisherige Instrumentarium des Strafgesetzbuches erheblich. Künftig ist es in größerem Umfang als bisher möglich, Gewinne aus Straftaten auch dann abzuschöpfen, wenn der Täter aktuell nicht mehr liquide ist. Konnte bisher von entsprechenden Maßnahmen abgesehen werden, wenn der Täter „entreichert“ war oder es eine „unbillige Härte“ für ihn bedeutet hätte, spielt dies nun erst einmal keine Rolle mehr. Das Gericht hat in jedem Fall auszusprechen, in welchem Umfang Gewinne abgeschöpft werden. Ob tatsächlich Vermögen des Täters vorhanden ist, prüft erst später die Staatsanwaltschaft, wenn sie das Urteil vollstreckt. Vorteil dieser Regelung: Das Urteil kann bis zu zehn Jahre vollstreckt werden. Kommt also der Täter später wieder zu Geld, so kann die Staatsmacht auch dieses noch einziehen. Einen anderen Missstand der Praxis beseitigt die Gesetzesänderung ebenfalls. Vielfach wurden bei Serientätern Beutestücke aufgefunden, deren kriminelle Herkunft sich aufdrängte. Eine Einziehung war jedoch unmöglich, wenn sie nicht einer bestimmten Tat zuzuordnen waren. Auch hier wurden die Voraussetzungen erleichtert. Wird ein Täter wegen einer Tat verurteilt, können auch andere Gegenstände eingezogen werden, wenn nach Überzeugung des Gerichts auf der Hand liegt, dass sie aus einer weiteren Straftat stammen. Schließlich wurden auch die Voraussetzungen erleichtert, unter denen Vermögen, das offenbar aus – wiederum nicht näher bestimmbaren – Straftaten stammt, eingezogen werden kann, und zwar auch dann, wenn kein Täter dingfest zu machen ist.

Neues für Opfer
Für die Opfer hat sich der Zugriff auf noch vorhandene Beutestücke wie auch auf das Vermögen des Täters ebenfalls deutlich vereinfacht. Schon bisher konnte die Staatsanwaltschaft Beute und Vermögen beim Täter vorläufig sichern. Damit die Opfer Zugriff nehmen konnten, mussten sie jedoch jeder für sich zunächst in einem Zivilrechtsstreit eine Verurteilung des Täters zur Herausgabe oder Schadensersatzzahlung erreichen. Erst dann konnte die Staatsanwaltschaft zugunsten der Opfer zurücktreten und ihnen einen Durchgriff gewähren. Gab es mehrere Geschädigte, setzte oft ein regelrechts Windhundrennen ein. Wer zu spät kam, ging vielfach leer aus. Auch dieses wird sich grundsätzlich ändern. Künftig soll der Strafrichter bereits in seinem Urteil festhalten, welche Opfer in welchem Umfang geschädigt wurden. Auf dieser Grundlage soll die Staatsanwaltschaft dann Beute oder Vermögen des Täters verteilen. Einen zusätzlichen Zivilrechtsstreit müssen die Opfer dann nicht mehr führen. Genügt das Vermögen nicht zur Befriedigung aller Opfer, strengt die Staatsanwaltschaft ein Insolvenzverfahren an, in dem das Vermögen des Täters nach Quoten an die Opfer und sonstige Gläubiger verteilt wird.

Für Beteiligte an einem Strafverfahren hat die Reform weitreichende Folgen. Aus Sicht des Beschuldigten ist in manchen Fällen die Vermögensabschöpfung künftig mindestens ebenso einschneidend wie die strafrechtliche Sanktion als solche. Bei Einstellungsentscheidungen ohne Verurteilung werden Gerichte und Staatsanwaltschaften künftig mehr die Interessen der Opfer an einer finanziellen Kompensation im Blick haben müssen. Aus Sicht der Geschädigten einer Straftat ist es im Gegenzug wichtig, die eigenen Interessen im Strafverfahren rechtzeitig einzubringen. Denn nur der, dessen Schaden Gegenstand des Urteils ist, wird ohne Weiteres auf das beim Täter gesicherte Vermögen Zugriff nehmen können. Die Schadenshöhe sollte daher so früh wie möglich plausibel gemacht werden.

Dabei ist eine durchgehende anwaltliche Begleitung entscheidend. So kann z.B. im Regelfall nur ein Anwalt volle Einsicht in die Akten von Gericht und Staatsanwaltschaft nehmen und z.B. prüfen, ob beim Täter Vermögen vorhanden ist.

Autor: Heiko Hellwege